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MUSIK von VoltaireOnline.eu
TOCOTRONIC von Astrid Sigglow Schon längewr als ein Jahrzehnt Es gibt wohl kaum viele deutsche Bands, die einen so großen Einfluss auf die deutsche Jugend der neunziger Jahre hatten wie Tocotronic. Entweder verehrte man Tocotronic und kannte all ihre Liedtexte auswendig, oder man verachtete sie einfach. Tocotronic ist eine der wichtigsten deutschen Bands, denn die Musiker haben die gesamte deutsche Musikszene mitgeprägt durch ihren unnachahmlichen Stil, der kritische Texte mit manchmal etwas experimentell klingendem Indierock verbindet. Aber um wen handelt es sich? Die Band besteht aus dem eloquenten Sänger und Gitarristen Dirk von Lowtzow, dem Bassisten Jan Müller und dem Schlagzeuger Arno Zank. Im Jahre 1993 gründeten die drei Tocotronic; seit einigen Jahren ist Rick McPhail als Gitarrist und Keyboarder offziell Mitglied der Gruppe. Die Hamburger Schule Tocotronic wird zur "Hamburger Schule" gerechnet. Mit dieser Bezeichnung wird versucht, mehrere Bands zusammen zu fassen, die alle Anfang der Neunziger ihre Karriere begannen, und die sich allesamt durch ein kritisches Bild der Gesellschaft in ihren Texten auszeichnen. Generell zeigen sie dadurch eine Affinität zur politischen Linken Deutschlands. Die Bands "Blumfeld" und "Die Sterne" sind die andere bekannte Vertreter dieser musikalischen Ecke. Es handelt sich jedoch nicht um ausdrückliche, richtungsweisende politische (Partei-) Empfehlungen, sondern eine Gruppe wie Tocotronic kritisiert die von der Gesellschaft ausgeübten Zwänge und den sozialen, emotionalen Druck, der auf jedem lastet. Am Anfang waren die Bandmitglieder noch sehr jung, doch sind sie immer noch auflehnerisch, rebellisch und wehren sich gegen herrschende Regeln und Normen, die unser Leben reglementieren und gegen die Autoritäten, die uns verwalten wollen - dazu gehören auch Eltern. Sie revoltieren, indem sie eine Form finden, sich zu verweigern, nicht teilzuhaben und nicht mitzumachen bei den bürgerlichen Moralspielchen, in der Scheinheiligkeit der angepassten Erwachsenen. Gleichzeitig verneinen sie aber die Vorstellung einer einheitlichen, simplistischen Identität der linken Szene in Deutschland. Ironie findet sich zu Hauf in ihren Texten, so zum Beispiel auch sich selbst gegenüber: Sie kokettieren mit dem Begriff einer "Schule", wenn sie singen" Ich bin neu in der Hamburger Schule". Hatte man zu Beginn manchmal den Eindruck, dass die Texte sich über die Musik legen, denn man hört viel Lärm, Rückkopplungseffekte und schrammige Gitarren, sind die Melodien doch von einer großen Komplexität, die durch Dirk von Lowtzows Stimme getragen werden. Viele Fans schaffen es nicht, diese nachzusingen, was bei Konzerten zu manch einem unmelodischen Gegröle führen kann. Nachhaltige Entwicklung einer Band Tocotronic hat nichts zu tun mit der derzeitigen Mode, auf deutsch zu singen und locker-leicht deutsch zu sein. Im Gegenteil, sie haben sich stets gegen diese Mode-Spielregeln, gegen diese einlullende, harmoniesüchtige Leichtigkeit des Pops gewehrt, gegen diesen bürgerlichen Optimismus...indem sie ihre Sozialkritik und ihre eigenen Probleme betonen. So ist es nicht verwunderlich, dass Tocotronic stets eine Identifikationsfläche und eine Weltansicht für Menschen auf der Suche nach Identität boten, die sich von der Masse apolitischer und dem Trend hinterher laufender Teenager abgrenzen wollten. Eine Form der Sozialisierung durch ihre Musik fand statt. Doch neben ihrem Stil, den manche und Tocotronic selbst gerne "Diskursrock" in Anlehnung an die Kritische Theorie und die Diskursanalyse nennen, haben sie eine melodischen Feinheit und Zerbrechlichkeit in ihren Liedern erreicht, die ihresgleichen sucht. Im Laufe der Zeit haben sie ein Gleichgewicht zwischen Melodien und Text gefunden,die die Poesie ihrer Lieder ausmacht. Retro, Nostalgie und ein Zukunft Der Name der Band "Tocotronic" kommt von der japanischen Spielkonsole "Tricotronic", dem Vorläufer des Gameboys. Eine gewisse Nostalgie für unkomplizierten Kindheitsspiele, für die kindliche Freiheit hat der Reife der Musiker ein wenig ein Platz gelassen. Auch ihre Kleider haben sich verändert ( die Sportjacken der 80er, die Kordhosen, die halblangen Seitelscheitelköpfe - Tocotronic war Vorbild für eine ganze Generation), das erwachsene Äußere zeigt eine neue Phase in der Geschichte der Gruppe. Glücklicherweise haben sie ihre Fähigkeit zur Kritik und Spott nicht verloren und weisen noch immer auf nationalistische Tendenzen in Deutschland hin! Und sie sind wieder da! Im Juli erscheint endlich ihr neues Album: Kapitulation. Erneut beschäftigen sie sich mit der Frage des sozialen Drucks, immer erfolgreich sein zu müssen, des allgegenwärtigen Leistungsprinzips - auch in der Revolte. Kapitulieren als letztes Mittel des Verweigerns? Vielleicht das ultimative Mittel des Protests gegen die weichspülende Deutsch-Popwelle und der Effizienz-Propaganda. Wir, mit Tocotronic groß geworden, erwarten wohl nicht vergeblich viel von diesem Album! Diskographie • 1995: Digital ist Besser • 1995: Nach der verlorenen Zeit • 1996: Wir kommen um uns zu beschweren • 1997: Es ist egal, aber • 1999: K.O.O.K. • 2002: Tocotronic • 2005: Pure Vernunft darf niemals siegen • 2007: Kapitulation Hier die Texte von "Digital ist besser" und "Aber hier leben nein danke" zum Nachlesen: Digital ist besser Auf der Strasse denken Leute: Wie sieht der denn aus ? Daß so Leute doof sind setz ich als bekannt voraus In einer Gesellschaft in der man bunte Uhren trägt In einer Gesellschaft wie dieser bin ich nur im weg Aber Digital ist besser Digital ist besser Digital ist besser für mich Manchmal denk ich wie es wäre wenn es nicht so wär Ich wär wohl anders und vielleicht wär ich auch glücklicher In einer Freundschaft wie dieser geht es nicht um Glück In einer Freundschaft wie dieser gibt es kein zurück Aber Digital ist besser Digital ist besser Digital ist besser Für mich Aber hier leben nein danke Ich mags wenn sich, die Wut entfacht, und ich mag deine Zaubermacht. Ich mag die Tiere, nachts im Wald, wenn sie flüstern, dass es schallt. Ich mag den Weg, ich mag das Ziel, den Exzeß, das Selbstexil. Ich mag erschaudern, und nicht zu knapp, ich gebe jedem etwas ab. All das mag ich, all das mag ich. Aber hier leben, nein danke! (2x) Ich mag die Wolken und den Wind. Ich mag das Licht, dass du mir bringst. Wenn du dich um mich bemühst. Wenn der Wahnsinn flammend grüßt. Wenn die Träume Funken sprühen, und die weißen Blumen blühen. Ich mag die Engel kurz vor dem Fall Diamanten aus dem All. All das mag ich, all das mag ich. Aber hier leben, nein danke! (2x) Ich mag die Spiegelung der Luft, und wenn die Sehnsucht nie verpufft. Den Glanz des Lebens in einem Tag. Ich mag den Zweifel der an mir nagt. Wenn meine Angst mich schnell verläßt. Ich mag den Tanz, das Idiotenfest. Wenn wir irren nachts im Kreis, eine Bewegung gegen den Fleiß All das mag ich, all das mag ich. Aber hier leben, nein danke! (2x) |